Advaita endet beim reinen Sein – die siebte Fessel.
Im Modell der zehn Fesseln wird genau hier weitergeschaut: Was ist das feine Empfinden von „Ich bin“ wirklich?
In diesem Artikel erfährst du die Unterschiede zwischen Advaita und den zehn Fesseln und findest eine praktische Übung, um die achte Fessel zu untersuchen und aufzulösen.
Manchmal gibt es auf dem Weg zum Erwachen sehr subtile Entdeckungen. Besonders für Menschen, die aus der Advaita-Tradition kommen, kann ein feiner Eindruck bestehen bleiben: Alles wird klar gesehen – es gibt kein Ich in den Wahrnehmungen, Gedanken oder Gefühlen – und doch bleibt ein tiefes, unmittelbares Gefühl von Sein, von Gewahrsein.
Dieses Erleben wird nicht als persönliches Ich empfunden, sondern als etwas, das immer da ist: ein stilles Bewusstsein des Seins selbst, das niemandem gehört und von niemandem gesteuert wird. Es wirkt wie die tiefste Essenz dessen, was ist – lebendig und gegenwärtig.
Hier lohnt es sich, genauer hinzusehen.
Bewusstsein – oder doch nur Erfahrung?
Was hier als „Bewusstsein“ erfahren wird, ist tatsächlich nichts anderes als unmittelbare Erfahrung selbst: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und Denken.
All das geschieht mühelos. Niemand macht das Sehen oder Denken. Es geschieht einfach.
Was wie ein stabiles Zentrum erscheint – diese stille, bewusste Präsenz – ist letztlich Teil der Erfahrung. Sie geschieht, ohne dass eine Instanz oder ein Besitzer dahintersteht.
Advaita und die siebte Fessel
In der Advaita-Tradition wird das Erkennen des reinen Seins – des formlosen Gewahrseins – als das Ziel betrachtet. Damit entspricht Advaita weitgehend dem Bereich bis zur siebten Fessel im Modell der zehn Fesseln, wie es auf der Basis der frühen buddhistischen Lehren beschrieben wird.
Hier endet der Advaita-Weg:
Das Erkennen von formloser Präsenz ist der Abschluss und keine vorübergehende Etappe.
Das Gefühl „Ich bin“ wird als grundlegende Wahrheit gesehen und nicht weiter hinterfragt.
Im Modell der zehn Fesseln hingegen wird an dieser Stelle die Untersuchung fortgesetzt:
- Auch das Empfinden von Sein wird als eine weitere Annahme durchschaut (achte Fessel).
- Die feinen Reste von Suche und Nichtwissen werden weiter aufgelöst (neunte und zehnte Fessel).
Beides sind einfach verschiedene Ansätze und Konzepte – weder falsch noch richtig, sondern Ausdruck unterschiedlicher Weisen, den Weg zu beschreiben.
Der Übergang zur achten Fessel
Wenn das reine Sein als endgültig empfunden wird, entsteht der Eindruck einer natürlichen Ruhe.
Im Modell der zehn Fesseln wird genau an diesem Punkt weitergefragt: Ist selbst das stille Gefühl von Sein, das immer da ist, wirklich unabhängig? Oder geschieht auch dieses Sein?
Die achte Fessel – das subtile Empfinden „Ich bin“ – wird untersucht, nicht als Konzept, sondern in direkter Erfahrung.
Übung: Das Empfinden von Sein untersuchen
Hier eine praktische Übung, angelehnt an den „8th Fetter Guide“ von Simply The Seen:
Übung
- Setze dich ruhig hin und lasse die Gedanken und Bilder im Geist zur Ruhe kommen.
- Lass dann gedanklich einige Male das Wort „Ich…“ auftauchen.
Beobachte: Entsteht dabei ein Eindruck oder eine Resonanz? Gibt es ein Gefühl von „Hier bin ich“? Antwortet etwas, wie bei einem Aufruf in der Schule? - Wiederhole das mit dem Begriff „Mir…“.
Ist das Empfinden dabei anders als bei „Ich“? - Lasse anschließend „Ich bin…“ auftauchen.
Wirkt diese Aussage wahr? Zeigt sie auf bestimmte Körperempfindungen? Oder ist sie einfach da? - Schließlich lasse das Wort „Ich existiere…“ entstehen.
Ist das Empfinden hier dasselbe wie bei „Ich bin“ oder unterschiedlich? Fühlt sich eine der beiden Aussagen stimmiger oder offensichtlicher an? - Während du diese Begriffe „fallen lässt“, beobachte:
- Was nimmt dies wahr?
- Gibt es eine Instanz, ein Zentrum, das das Gewahrsein besitzt? Oder ist das Gewahrsein einfach da, ohne Besitzer?
- Achte besonders darauf:
- Scheint „Ich“ oder „Mir“ etwas „hier drinnen“ zu sein, getrennt von „dort draußen“?
- Gibt es noch einen Ort, wo das „Ich“ sein könnte?
Bleibe bei dieser Übung, bis du ein gutes Gefühl für das Aufscheinen und Vergehen des „Ich“-Empfindens hast – und beobachte, welcher der Begriffe am meisten Resonanz erzeugt.
Abschließende Einladung
Es geht nicht darum, ein Konzept zu ersetzen oder etwas zu erreichen.
Sondern darum, immer tiefer zu erkennen, was bereits hier ist: reines Geschehen – ohne Mittelpunkt, ohne Identität.
💛