Begehren nach Form: Die 6. Fessel

Begehren nach Form ist die Annahme, dass wir etwas außerhalb von uns wahrnehmen.

Wir glauben, dass wir alles aus unserer subjektiven Perspektive erleben. Dass wir getrennt sind von allem anderen. Dass es eine Grenze gibt, zwischen unserem Körper und der Umgebung. Getrennt sind von dem, was wir hören, was wir sehen, was wir fühlen, von unseren Gedanken.

Buddha nannte die Fessel rupa-loka.
Das Begehren nach Form.

Aufgrund des Nicht-Wissens der 10. Fessel werden wir beunruhigt. Durch die Unruhe der 9. Fessel entsteht Willensregung, der Durst nach Dasein und sinnlichem Erleben.
So geraten wir unter den Einfluss der Triebe.

Begehren nach Form

Form bedeutet nicht nur, dass die Dinge ein bestimmtes Aussehen und bestimmte Eigenschaften haben, dass sie benennbar und unterscheidbar sind – wie andere Menschen, Häuser, Autos oder Türen. Form sind auch Gedanken, Situationen und Ideen.

Form ist alles, was wir wahrnehmen und beobachten können.

Alles was wir nicht sind.

Wir nehmen an, dass die Dinge nicht einfach so existieren, sondern sich in einer Beziehung zu uns befinden. Wir nehmen die Welt und alles was in ihr geschieht – persönlich.

So hat alles, was es in unserer Welt gibt, jedes Ding, jede Form, eine bestimmte Bedeutung, die weit über das Aussehen und die Eigenschaften hinausgeht. Wir erfahren die Dinge auf unsere ganz persönliche Weise. Wir treten in Beziehung. Wir nehmen in Besitz.

Ein Auto kann einfach ein Auto sein. Es sei denn, es ist unser Auto. Dieses eine bestimmte Ding hat eine Beziehung zu uns oder wie zu ihm. Es ist unser persönliches Auto und spielt eine besondere Rolle in unserem Leben – im Vergleich zu all den anderen Autos.

Durch die Beziehung, die wir zu den Dingen haben, formt sich unsere Identität. Sie schält sich aus der Welt, aus der Wahrnehmung, heraus. Wir nehmen an, ein besonders Objekt zu sein und werden so der Bezugspunkt der Objekte. Wir werden die wichtigste Form von allen. Das Ding, um das die Welt sich dreht. Das Zentrum von allem. Und wir schälen auch alles andere aus der Welt heraus und so bekommen wir und die Dinge eigene Grenzen und wir erfahren die Welt als etwas von uns getrenntes.

Und so können wir eine Linie ziehen – eine Grenze – zwischen uns und allem anderen:

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Untersuchung der 6. Fessel

Es scheint etwas in uns zu sein, von wo aus wir eine Welt voller Dinge außerhalb von uns erfahren. Dieser Punkt scheint sich hinter unseren Augen, der Brust oder der Stirn zu befinden.

Wenn wir genau hinschauen, bemerken wir, dass wir in der Erfahrung ständig hin und her pendeln zwischen diesem subjektiven Bezugspunkt und den Dingen. Was erleben wir? Was denken wir darüber? Wie fühlen wir uns damit? Wir gleichen Innen und Außen ab. Gehen in Beziehung zur Welt da draußen. Personalisieren sie.

Dieser Prozess der Inbezugnahme startet sehr früh im Leben und findet auf eine so subtile und gewohnheitsmäßige Weise statt, dass wir es normalerweise nicht bemerken. Nicht solange Wunsch und Widerwillen nicht durchschaut sind. Doch es führt direkt zu der Überzeugung, dass wir der zentrale – und darum wichtigste Punkt der Welt sind.

Der ständige Abgleich bestätigt und verfestigt nicht nur die Annahme von uns als Subjekt, sondern bestätigt und verfestigt stetig, dass das, womit wir in Beziehung treten ein ganz bestimmtes Ding ist. Das es eine Bedeutung hat, die es nicht aus sich selbst heraus hat, sondern die wir ihm geben: Es ist genauso, wie wir darüber denken, wie wir uns damit fühlen. Und so erschaffen wir Dualität mit starren Grenzen. Die Trennung zwischen uns und der Welt ist abgeschlossen.

Da wir eine von uns getrennte Welt erleben, die sich auf uns bezieht, wird sie persönlich. Und so wollen wir sie in der nächsten Fessel Wunsch und Widerwillen nach unseren Wünschen formen, damit sie uns entspricht, besser zu uns passt.

Die größte Schwierigkeit bei der Untersuchung der 6. Fessel ist es, zu erkennen, wonach wir eigentlich suchen. Doch sobald dies klar ist, löst sich die Fessel.

Wenn wir unseren Blick schweifen lassen, können wir sehen, wie die visuellen Informationen auf uns zuzuströmen scheinen. Diese Perspektive ist so überzeugend, dass wir sie nicht in Frage stellen.

Aber gibt es diesen Referenzpunkt wirklich?

Übung

Wahrnehmung ist bei Lebewesen der Prozess und das subjektive Ergebnis der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Reizen aus der Umwelt und aus dem Körperinneren.

Wikipedia

Wie benutzt du das Wort Wahrnehmung/Ich habe wahrgenommen/Ich nehme wahr im Alltag? Wie benutzen andere es? Was ist meint, wenn von Wahrnehmung gesprochen wird? Was alles wird wahrgenommen? Versuche eine Liste zu machen.

Und dann gehe raus auf einen Spaziergang und beobachte, was du alles wahrnimmst. Vielleicht das Blau des Himmels? Das Geräusch vom Wind? Den Druck unter den Füßen? Gedanken, die dir durch den Kopf gehen, vielleicht über diese Übung oder darüber, was es zum Mittagessen geben wird?

Und dann versuche herauszufinden, von wo aus alles wahrgenommen wird. Wo findet die Informationsgewinnung und -verarbeitung statt? Wo wird all das Wahrgenommene zusammengeführt? Innerhalb- oder außerhalb? Versuche diesen Ort auf den Millimeter zu finden.

Lösen der 6. Fessel

Ohne den Referenzpunkt Ich, erscheint die Welt flach wie eine Leinwand. Tiefe und Raumerfahrung verlieren sich. Es kann nicht gesagt werden, wie weit etwas von uns entfernt ist.

Ohne Subjekt werden keine Grenzen mehr erlebt. Die Welt besteht nicht mehr aus tausend Teilen, sie erscheint als ein Ganzes. Kein Ich hier drinnen, das eine Welt da draußen erfährt. Es ist unmöglich zwischen Gedanken, Erinnerungen und Träumen zu unterscheiden.

Dass es mich hier drinnen gibt und die Welt da draußen, ist eine Annahme, die einer genauen Überprüfung nicht stand hält. Denn dann müsste es eine Grenze geben. Wo ich aufhöre und die Welt anfängt. Aber diese Grenze ist nicht zu finden. Und so ist alles eins und alles eine einzige Bewegung, weil es keine Zwei gibt, die sich getrennt voneinander bewegen könnten.

Die personalisierte Welt verschwindet. Wir hören auf, die Dinge persönlich zu nehmen. Wir können noch unterscheiden zwischen der Wand und der Tür, doch die Grenze zwischen uns und der Welt löst sich auf. Die Beziehung ändert sich. Wir nehmen die Welt nicht mehr in Besitz, vielmehr sind wir eine von vielen Erscheinungen. Wir stehen nicht mehr außerhalb. Jedes Gefühl von Getrenntsein verschwindet.

Wie nach jeder Fessel bemerken wir, dass es die Spaltung der Welt in ein Subjekt und Objekte niemals gegeben hat. Der Wegfall der Grenzen ist eine sehr faszinierende Erfahrung, die ein weiterer Schritt in Richtung Freiheit ist und sich genauso anfühlt.


Buddha erklärte, dass es 10 Annahmen oder 10 Fesseln gibt, die dem Erwachen im Weg stehen. Wenn du wissen möchtest, welche das sind, lies hier weiter: Durch die 10 Fesseln zum Erwachen.

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