Über die Herausforderungen in der Lücke

Bei der Untersuchung von Wunsch und Widerwillen gibt es einige Herausforderungen, Irrtümer und Zweifel.

Wie bei jeder Fessel ist die Untersuchung von Wunsch und Widerwillen individuell sehr unterschiedlich. Es kann passieren, dass es gleich beim ersten Mal klappt und die Fessel bricht. Es kann genauso passieren, dass der Groschen auch nach mehreren Durchgängen nicht fällt. Manchmal fällt er gar nicht.

Die Reaktionen können lange sehr stark sein, so dass wir nicht in die Lücke kommen. Oder wir sehen die Lücke sofort.

So kann es hilfreich sein, wenn wir uns das Geschehen bildlich vorstellen. In der Lücke sind sowohl die primären Empfindungen, als auch die einsetzende Reaktion zu sehen oder zu spüren. Und hier in der Lücke müsste auch zu sehen oder spüren sein, was beides miteinander verbindet.

Stellen wir uns also vor, wir säßen gemeinsam mit den primären Empfindungen am Ufer eines Flusses. Am anderen Ufer warten die Reaktionen.
Das, was diesseits des Flusses ist, ist das, was geschieht.
Am jenseitigen Ufer wartet das, was wir dagegen tun sollten.

Wir halten nun Ausschau nach dem, was dieses Ufer mit dem gegenüberliegenden Ufer verbindet. Ist es eine Brücke? Ein Boot? Was bringt uns über den Fluss?

Wir konzentrieren uns auf den Fluss, lassen uns von Gedanken und Geschichten nicht ablenken. Schauen solange bis klar ist, ob es zwischen den beiden Ufern des Flusses eine Verbindung gibt – oder nicht!

Der Satz

Dabei versuchen wir sehr exakt zu sein und den Satz nicht zu verändern. Er sollte sich immer auf das beziehen, wie wir uns die Situation wünschen – nicht auf das, was wir gehört oder gesehen haben (wie die Situation war), bzw. auf das, was wir nicht wollen. Denn wenn wir uns darauf konzentrieren, was wir nicht wollen, dann landen wir direkt in der Reaktion und nicht in der Lücke.

Genauso kann es passieren, dass der Satz, den wir sagen sich dahingehend verändert, dass er eine Interpretation der Situation enthält. Er sich also nicht mehr auf das bezieht, was tatsächlich passiert ist. Was tatsächlich passiert, kann mit den 5 Sinnen wahrgenommen werden.

Die primären Empfindungen

Es kann auch passieren, dass wir denken, dass die Reaktion die primäre Empfindung ist. Vor allem, wenn wir sehr stark und sehr schnell reagieren, bemerken wir die primären Empfindungen vielleicht gar nicht.

Die Lücke

Es kann helfen, den Satz immer mal wieder auszusprechen, um in Kontakt mit den Empfindungen zu bleiben. Irgendwann schaffen wir es, den Sog zur Reaktion deutlich zu spüren. Anfangs vielleicht nur kurz, irgendwann beständig.

Der Mechanismus

Manchmal verändert sich auch die Vorstellung, die wir uns vom Mechanismus gemacht haben. Was wir uns zuerst wie einen Knopf vorstellten, wird im Laufe der Untersuchung vielleicht zu einer Verdrahtung. Oder wir beschreiben den Mechanismus als ein Programm und später als eine alte Gewohnheit. Das ist okay. Wichtig ist, immer weiter nach diesem Mechanismus zu suchen, wie immer er aktuell auch aussehen mag. Aber wir sollten prüfen, ob das Springen von einer Ursache zur nächsten nicht vielleicht eine Reaktion ist, um die eigentliche Suche zu vermeiden.

Genauso können wir an den Punkt kommen, an dem wir den Mechanismus, den Knopf, die Verdrahtung als Konzept abtun und uns ausreden weiter zu suchen. Doch solange Reaktionen auftreten, glauben wir noch daran, dass es eine Ursache für sie gibt.

Die Untersuchung könnte zu vage erscheinen. Wir wissen nicht genau, wonach wir suchen sollen, weil wir uns niemals vorher die Frage gestellt haben, warum wir reagieren und uns mit dem Ablauf, der zu einer Reaktion führt noch nie beschäftigt haben. Wir sollten dann einfach darauf vertrauen, dass es diesen Grund zu reagieren wirklich gibt. Denn warum sonst reagieren wir auf eine bestimmte Weise in bestimmten Situationen, in denen andere ganz anders oder gar nicht reagieren? Würde es den Grund nicht geben, würden wir nicht reagieren.

Die Reaktionen

Es ist gar nicht so leicht, sich nicht mitreißen zu lassen, von den Gedanken, Gefühlen und Geschichten, die die Reaktionen mit sich bringen. Wir sind es so gewohnt, das zu tun. Dabei müssen wir nur eins machen: Bei den primären Empfindungen bleiben und dem Sog der Bilder nicht nachgeben. Konzentrieren wir uns darauf, was wir wollen und nicht bekommen und wie sich das anfühlt.

Vielleicht kommen wir an einen Punkt, an dem wir uns die Reaktionen schönreden, oder nicht ehrlich sind und sie leugnen. Ehrlichkeit ist sehr wichtig bei der Untersuchung der Fesseln. Solange Reaktionen auftreten, glauben wir noch daran, dass es eine Ursache für sie gibt. Dass es etwas gibt, was sie auslöst.

Wir könnten auch dazu neigen die Reaktionen zu verdrängen und sie wieder in die Unsichtbarkeit drängen. Auch hier ist Ehrlichkeit wichtig: Alles so laufen zu lassen, wie es eben läuft und nichts unterdrücken.

Das Abflauen

Irgendwann verliert das Thema an Energie. Wir spüren die primären Empfindungen kaum noch. Dann ist es Zeit für eine Pause.

Und es stellt sich vielleicht heraus, dass das Thema gar nicht mehr relevant ist und Reaktionen darauf ausbleiben. So kann es gut sein, dass schon bald ein größeres Thema auftaucht.

Die Schwächung

Die Untersuchung wird irgendwann entweder langweilig oder frustrierend – immer weiter und weiter zu suchen und nichts zu finden. Ziehen wir da mal ein Fazit: Was bedeutet das? Lässt sich der Grund für die Reaktionen finden? Wenn wir ihn bis jetzt nicht gefunden haben, hat es den Grund je gegeben?

Wir können dann als Fazit sagen: Hier ist nichts.

Nun haben wir gesucht und gesucht und nichts gefunden. Wir wissen, dass hier nichts ist. Es ist ganz offensichtlich – an diesem Punkt schauen wir wieder und wieder, bei jeder Gelegenheit. Hier ist nichts. Nehmen uns einen Moment, um es sacken zu lassen. Um die Tatsache, dass da nichts ist, zu begreifen. Es gibt kein Verlangen!

Und dann fällt der Groschen. Das Thema flaut ab. Reaktionen treten nicht mehr auf. Das Thema wird wieder auftauchen – ist es anders?

Wunsch und Widerwillen sind geschwächt, wenn der Drank zu reagieren – auf dieses oder jedes andere Ereignis – spürbar nachlässt.

Das Leben geht einfach weiter. Probleme tauchen weiterhin auf. Wir bemerken schwierige Situation schnell und können den Ablauf wie in Zeitlupe verfolgen. Um die Themen ist jetzt viel mehr Raum. Und viel mehr Zeit. Reaktionen treten auf, aber sie sind weniger stark, weniger häufig, weniger lang.

Das Brechen der Fessel

So lösen wir uns langsam von der Illusion.

Es kann irritierend sein: Wenn wir nicht mehr wie gewohnt reagieren, löst das im Körper manchmal einen Adrenalinstroß, oder ein Schwindelgefühl aus. Auf unsere Reaktionen konnten wir uns verlassen. Wir wussten, wie wir auf bestimmte Situationen reagieren sollten. Diesen Halt gibt es nun nicht mehr. Wir agieren nun ohne dieses Sicherheitsnetz.

Zweifel können aufkommen. Denn es entsteht schnell die Erwartung, dass der Sog in die Reaktion gar nicht mehr erscheint. Wunsch und Widerwillen reichen allerdings viel tiefer, als die Ich Illusion. Und so könnte der Sog noch eine Weile auftauchen. Wir haben selbst gesehen, dass es den Mechanismus, der die Reaktionen auslöst, nicht gibt. Wir wissen, dass es diesen Grund zu reagieren nicht gibt. Es gibt nicht mehr als das, was tatsächlich geschehen ist. Und doch wollen uns die Gedanken und Gefühle immer wieder hinüberziehen.

Da uns der erste Pfeil immer noch treffen wird, werden wir oft das Gefühl haben, etwas sagen oder unternehmen zu müssen. Achten wir also auf dieses Gefühl. Es versucht etwas auszulösen, Wunsch und Widerwillen in Gang zu setzen, um eine Reaktion zu triggern. Wir können uns dann sagen: Nein, ich glaube nicht, dass ich reagieren muss.

Wir werden einige Veränderungen erleben. Das Leben wird sich anders anfühlen, wenn wir nicht mehr darauf reagieren. Trotzdem kann es sich immer wieder so anfühlen, als würden Reaktionen einsetzen. Dabei geht es jetzt nur darum in der Situation zu sein, die früher Reaktionen ausgelöst hat. Wunsch und Widerwillen hat viele Facetten, dass es eine Weile dauern kann, bis wir uns an die neue Perspektive gewöhnt haben.

Einfach In einer Situation zu bleiben und sie zu erleben, zu erfühlen – das müssen wir erst lernen, uns damit vertraut machen.

Obwohl die Ich Illusion verschwunden ist, kann ein starkes Gefühl des „Hierseins“ da sein. Denn es gibt noch die Tendenz, dass wir uns mit der Erfahrung identifizieren. Dies wird erst mit der achten Fessel verschwinden.


Wunsch und Widerwillen sind die tiefgreifendsten Fesseln. Es sind die Annahmen wir hätten den Hang nach angenehmen Empfindungen und den Hang, alle unangenehmen Empfindungen vermeiden zu wollen.