Dass es so etwas wie Erwachen oder Erleuchtung gibt, fand ich immer faszinierend. Ich habe „erwachte Menschen“ gegoogelt und fand es einfach spannend darüber zu lesen. Aber eine wirkliche Vorstellung, oder eine Ahnung davon, was das eigentlich sein könnte, hatte ich nie. Erleuchtete müssten etwas ganz besonderes sein. Sie haben eine Gabe, ein Wissen oder irgendwas, was wir anderen, die Unerleuchteten, nicht haben.
Die einen trifft die Erleuchtung, wie der Schlag. Die anderen finden sie nach jahrzehntelanger Suche. Nach jahrzehnterlanger Meditation. Oder bei einem Guru. Also ziemlich unwahrscheinlich, dass es einen selbst mal treffen könnte, das Erwachen.
Und dabei ist es so einfach. Buddha selbst hat mit dem Konzept der 10 Fesseln eine Schritt-für-Schritt Anleitung zum Erwachen beschrieben.
Erwachen ist das Ende des Leidens
Ist das Nicht-Wissen überwunden, steigt wahres Wissen auf, das zur Ernüchterung führt und wir erkennen:
Nur Nirvana ist Frieden!
Dīgha Nikāya 16 (Mahā-Parinibbāna Sutta – Kapitel II)
Das Leben ist schwierig. Oder kann schwierig sein. Es gibt Zeiten, da läuft alles rund. Und dann wieder so überhaupt nicht – und wir leiden darunter.
Dann sind wir gestresst, verärgert, wütend, ängstlich, frustriert… Irgendetwas stimmt nicht, ist nicht richtig, fühlt sich falsch an, könnte besser sein, muss besser sein. Es ist nicht so, wie wir es gerne hätten. Dagegen müssen wir angehen, etwas unternehmen, denn so kann es nicht weitergehen!
Das, was wir gerne hätten und das, was wir haben stimmt nicht überein.
Wenn wir nicht bekommen oder haben, was wir uns wünschen, fühlt sich das nicht gut an. Wenn wir uns nach etwas sehnen, uns jemand kritisiert, wir einsam sind, fühlen wir einen Druck auf der Brust, eine zugeschnürte Kehle, oder ein Brennen im Bauch. Es fühlt sich vielleicht so an, als hätte uns etwas getroffen. Schmerzhaft.
Was passiert als nächstes? Akzeptieren wir das unangenehme Gefühl, wenn wir kritisiert werden? Den Schmerz, wenn wir einsam sind? Dass es sich nicht gut anfühlt, wenn wir nicht das bekommen, wonach wir uns sehnen?
Oder gehen wir dagegen an, weil es so nicht sein kann oder sollte?
Wir regen uns auf. Werden ärgerlich, führen Diskussionen mit einem imaginären Gegenüber, sind angespannt, gereizt, wütend, traurig, frustriert.
Es fühlt sich gut und richtig an so zu reagieren. Aber es hilft nicht wirklich. Anstatt uns besser zu fühlen, wird alles nur noch schlimmer. Es fühlt sich jetzt noch unangenehmer an. Der Druck auf der Brust, das Brennen im Bauch – werden stärker.
So werden wir zum zweiten Mal getroffen. Das unangenehme Gefühl, der Schmerz, wird stärker – wir leiden.
Kurz gesagt: Wir erleben eine Situation und dazu die Empfindungen. Darauf folgt eine Reaktion.
Die Situation und die ersten Empfindungen sind unvermeidlich. Die Reaktion schon.
Erwachen bedeutet nicht gegen das anzugehen oder anzukämpfen, was sich ereignet. Auch wenn es uns nicht gefällt.
Dieser Widerstand fällt im Erwachen von selbst weg. Es ist keine Verhaltenstherapie, Suggestion oder ein Training. Es ist anstrengungslos. Mühelos.
Wenn der Widerstand gegen die Empfindungen wegfällt, können wir viel besser mit der Situation umgehen. Ärger, Sehnsucht, Wut, Angst und alles, was uns leiden lässt, werden nicht mehr auftauchen.
Wenn wir nicht mehr leiden, ist das Erwachen da.
Erwachen und das Ende des Leidens sind das selbe.
Im Erwachen gibt es kein Ich, oder Selbst mehr, dessen Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden müssen. Die Erlebnisse sind nicht richtig oder falsch. Sie sind einfach das, was ist.
Wenn wir nicht mehr kämpfen, ist Frieden da. Glück. Freiheit.
Erwachen zu beschreiben ist gar nicht so einfach. Es ist leichter zu beschreiben, was es nicht ist. Wir haben bestimmte Erwartungen ans Erwachen, manche werden uns erst in der Rückschau klar. Denn da war immer ein Ich, das sich erwachen vorstellte, dass es so oder so sein sollte.
Für mich fühlte es sich so an, als hätte ich einen schweren Rucksack abgestellt. Eine Last, die plötzlich nicht mehr da war. So ist Erwachen vor allem ein Verlust. Ein Wegfall. Eine Erleichterung. Eine Ernüchterung.
Es ist kein neuer Glaube.
Es ist keinesfalls etwas, was nur einigen Ausgewählten zuteil werden kann. Du musst danach auch nicht jahrzehntelang suchen.
Es ist kein Einüben neuer Verhaltens- oder Denkmuster.
Es hat überhaupt nichts mit Selbstverwirklichung oder Selbstoptimierung zu tun. Es ist eher das Gegenteil, denn das Selbst war eine Illusion.
Es hat nichts damit zu tun „ein guter Mensch“ zu sein.
Du wirst auch nicht herausfinden, wer du wirklich bist. Du wirst nicht weise, perfekt, allwissend oder besonders.
Es ist kein Bewusstseinszustand, oder überhaupt irgendein Zustand. Es fühlt sich total normal an. Normaler als alles zuvor.
Es ist kein immerwährender Zustand des Glücks, der Harmonie oder der Einheit.
Du wirst dich nicht immer gut fühlen. Unangenehmes wird nicht verschwinden, du wirst es sogar noch viel deutlicher spüren.
Du wirst auch nicht über den Dingen schweben, so dass dich nichts mehr berührt.
Du wirst mit nichts und niemandem verschmelzen.
Buddha erklärte, dass es 10 Annahmen oder 10 Fesseln gibt, die dem Erwachen im Weg stehen. Wenn du wissen möchtest, welche das sind, lies hier weiter: Durch die 10 Fesseln zum Erwachen.