Über das Schwächen und Durchschauen der Illusion von Wunsch und Widerwillen.
Während das Selbst (Ich) etwas gut definiertes ist, wonach wir genau suchen können, sind Wunsch und Widerwillen schwer zu fassen. Sie sind die hartnäckigsten der 10 Fesseln und agieren sehr subtil. Wir bemerken sie zunächst gar nicht.
Deshalb werden sie während der Untersuchung nicht – wie die Ich Illusion – in einem deutlichen Shift verschwinden, sondern schwächer und schwächer werden.
Grübeln stoppen
Doch schon diese Schwächung ist deutlich zu spüren. Während der Untersuchung lernen wir wie in Zeitlupe zu beobachten, was in einer Situation, die normalerweise zu einer Reaktion führt, genau abläuft. Dies wirkt sich auch im Alltag aus.
Wir erkennen diese Situationen schnell und können genau hinsehen. Alleine deshalb werden die Reaktionen weniger intensiv sein, schneller abklingen und nichts wird haften bleiben. Kein stundenlanges Grübeln mehr. Keine wachen Nächte.
So entsteht Freiheit. Diese Freiheit ist nicht nur ein Gefühl, denn sie drückt sich in der Lücke aus zwischen dem, was sein sollte und dem was ist.
Es ist wie ein größer werdender Raum zwischen uns, den Situationen und den betreffenden Menschen. Oder wie ein verheddertes Knäuel, das sich weitet, wenn wir es entwirren. Abstände werden größer. Licht kommt dazwischen. Abstand und Licht bringen Klarheit. Freiheit.
So bringen uns schwierige Situationen immer seltener aus der Ruhe. Wut und Frust kochen seltener hoch und verschwinden schneller wieder. Stattdessen kommt öfter einfach ein Schulterzucken als Reaktion.
Das Leiden verschwindet in dem Maße, wie Wunsch und Widerwillen geschwächt werden. Wir erkennen, dass hinter schwierigen Situationen und Gefühlen nichts weiter steckt. Deshalb müssen sie nicht mehr verdrängt werden. Statt sich zu einem großem Problem aufzustauen, können Emotionen aufsteigen und wieder vergehen.
Die Dinge sind genau das, was sie zu sein scheinen und hinter ihnen steckt nichts.
Jean-Paul Sartre
Nein, wir werden deshalb nicht gleichgültig. Es ist uns nicht alles egal. Im Gegenteil. Das Leben wird leichter, entspannter, konfliktfreier. Dadurch dass wir uns nicht persönlich involviert fühlen, Ärger und Wut nicht mehr stark auftauchen, können wir mit schwierigen Situationen sehr viel klarer umgehen.
Ständiges Grübeln und Angst verschwinden
Sobald die Fesseln 4 und 5 gebrochen sind, kann die Kluft zwischen den primären Empfindungen und den Reaktionen nicht mehr überbrückt werden. Wir erkennen eindeutig, dass es nichts gibt, das eine Reaktion erforderlich macht. Dass es Wunsch und Widerwillen nicht gibt, dass es Illusionen sind. Falsche Annahmen, die wir über die Wirklichkeit hatten.
So bleiben Reaktionen aus. Die Lücke, in der wir während der Untersuchung so viel Zeit verbracht haben verschwindet. Was bleibt, sind die Empfindungen.
Alles Haben- oder Nichthabenwollen verschwindet. Das Zerren und Ziehen an den Ereignissen endet. Die ständige Suche nach dem Besseren hört auf. Wir fühlen uns wie erlöst, von allem, was uns bisher zu etwas getrieben hat. All die Ablenkungen, die Süchte, das ständige etwas Tunmüssen – weg.
Unser Handeln wird intiutiv. Ohne die Illusion von Kontrolle merken wir, wie alles eigentlich automatisch abläuft. Es ist niemand da, der etwas tun, steuern, bestimmen oder kontrollieren könnte. Auch niemand, der das überhaupt wollen würde.
Das heißt nicht, dass wir perfekt sind, weise und immer wissen würden, was das richtige ist. Wir machen weiterhin Fehler, irren uns, versuchen es wieder. Wir sind auch nicht immerzu gut und freundlich. Wir nehmen immer noch am Leben teil. Sagen oder machen etwas, was einen anderen vielleicht verärgert. Doch wir selbst empfinden keinen Ärger und keine Wut mehr. Alle emotionalen Reaktionen sind verschwunden. So ist unser Handeln pragmatisch, sachlich, ruhig. Das nimmt eine Menge Leid aus schwierigen Situationen.
Weil wir wissen, dass kein Moment anders sein kann, als er gerade ist, machen wir uns keine Gedanken mehr darüber, was gerade passiert ist und sorgen uns nicht, was als nächstes passieren könnte. So verschwindet die Angst. Jegliche Anspannung weicht aus dem Körper. Was sich wirklich sehr befreiend anfühlt. Eine tiefe Freude breitet sich aus. Wir sind im Frieden mit der Wirklichkeit. Der Kampf ist vorbei.
Gedankenkarussell stoppen
Faszinierend ist, wie viele Gedanken mit diesen Fesseln wegfallen: All die Sorgen, die wir uns nicht mehr machen. All die Überlegungen. Das immer wieder „Durchkauen“ von Situationen. Das ständige Grübeln. Das Hadern. Das Zögern. Das Bedauern. Das Gefühl, irgendetwas falsch gemacht haben zu können. Dass jemand auf uns sauer sein könnte. Dass wir irgendwie nicht richtig sind. Etwas nicht richtig ist. Oder falsch läuft… diese Gedanken erscheinen nicht mehr.
Wir hören auf, uns durchs Leben zu denken.
Kevin Shanilec
Diese Gedankenlücke wird nicht mit anderen Gedanken aufgefüllt. Vielmehr erleben wir nun die Stille, die schon immer unter den Gedanken lag.
Perspektivwechsel
Wie nach dem Durchschauen der Ich Illusion nehmen wir nach dem Durchschauen von Wunsch und Widerwillen eine andere Perspektive ein.
Wir waren Krieger: Kämpfer, die sich mit Waffengewalt gegen die Wirklichkeit gestellt haben. Die ihre Interessen und Wünsche einforderten und verteidigten. Die ständig etwas brauchten und (anders) haben wollten. Die eine feindliche Welt da draußen erlebt haben, die man fürchten, zähmen, gegen die man sich wehren muss – in dem man sie zu kontrollieren versucht.
Mit dem Durchschauen der Illusion von Wunsch und Widerwillen legen wir die Waffen nieder. Wir nehmen endlich eine tiefe Verbindung mit dem Leben auf, lassen uns ein, werden empfindsamer, offener, wacher. Wir sehen die Wirklichkeit endlich so, wie sie ist und nicht so, wie sie sein soll.
Wir sind furchtlos, unerschrocken, voller Vertrauen und Einverständis, im Einklang.
Im Frieden.
Wunsch und Widerwillen sind die tiefgreifendsten Fesseln. Es sind die Annahmen wir hätten den Hang nach angenehmen Empfindungen und den Hang, alle unangenehmen Empfindungen vermeiden zu wollen.