Ist dir schon einmal aufgefallen, wie unheimlich Gedanken sind?
Nein, ich meine damit nicht den Inhalt der Gedanken. Sondern die Gedanken selbst.
Hast du dir schon einmal einen Gedanken vorgestellt?
Ich habe es versucht und es geht nicht. Sie haben keine Gestalt. Ich kann sie nicht sehen oder anfassen. Nicht riechen. Schmecken. Oder hören. Sie sind keine Körper, keine Wesen, auch keine Wolken 💭.
Das ist ziemlich unheimlich, denn trotzdem sind sie ständig da. Aber wie kann etwas da sein, das es gar nicht gibt? Ich kann nicht einmal sagen, wo sie überhaupt herkommen. Wenn ein Gedanke geht, kommt sofort ein neuer. Aber ich kann auch nicht sehen, wo der Gedanke hingeht und habe keinen Einfluss darauf, welcher neue Gedanke kommt.
Gedanken kommen und gehen – wie sie lustig sind.
Sie stammen nicht von mir. „Ich denke, also bin ich“, kann also gar nicht stimmen. Weil schon der Satzteil „Ich denke…“ falsch ist.
Ähnlich verhält es sich mit dem Inhalt der Gedanken. Auch darauf habe ich keinerlei Einfluss. Die Gedanken erzählen fortwährend Geschichten und ich bin gewillt sie zu glauben. Ich dachte sogar, ich wäre die Geschichte. Dabei habe ich wohl nie richtig zugehört. Denn meistens erzählen die Gedanken einfach nur Quatsch. Sie blödeln rum. Die ganze Zeit. Sie lügen, sie betrügen.
Sie handeln nie von dem, was ich gerade tatsächlich erlebe. Sie stochern in der Vergangenheit herum, oder fantasieren sich die Zukunft zusammen. Sie erzählen mir, was ich alles falsch gemacht habe und jagen mir einen Schrecken nach dem nächsten ein: Hier könnte ich etwas vergessen haben, dort ist jemand sauer auf mich, ich werde demnächst verarmen oder krank werden.
Nein, die Gedanken gehören mir nicht. Weiß der Teufel woher sie kommen. Ich bin nicht meine Gedanken. Ich glaube ihnen kein Wort mehr.
Hier ist ein gutes Beispiel dafür. Diese Geschichte habe ich in meinem Tagebuch gefunden. Das Ereignis liegt nun schon eine Weile zurück:
Meine Nachbarin geht jeden Morgen walken und kommt auf dem Rückweg bei mir am Gartenzaun vorbei. Meistens bin ich dann auch gerade dort und wir unterhalten uns eine Weile.
Eines Morgens wollte ich gleich einkaufen fahren und vorher noch den Kater einfangen, der im Vorgarten rumlungerte.
Als ich ihn gerade zu fassen bekam, sah ich aus dem Augenwinkel etwas Rotes, das sich in meine Richtung bewegte. Ich schnappte mir den Kater, ging rein und lies die Tür hinter mir zufallen. Dann ging ich ins Badezimmer und es durchfuhr mich ein riesen Schreck. Das war doch meine Nachbarin mit ihrem roten T-Shirt! Und ich hatte ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen!
Ich lief noch schnell zum Gartentor, aber sie war nicht dort.
Oh je.
Den Rest des Tages kreisten meine Gedanken um diesen Vorfall.
Ich hatte ihr einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen! Sie hat mich bestimmt gesehen – was denkt sie jetzt von mir? Was soll sie davon halten? Sie ist bestimmt total sauer! Diese und ähnliche Gedanken gingen mir die ganze Zeit durch den Kopf. Ich fühlte mich total schlecht. Mir ging es irgendwann richtig elend. Es war wie die Hölle.
Ich überlegte mir schon, wie ich da wieder rauskommen sollte. Welche Entschuldigung oder Ausrede ich vorbringen könnte. Dass ich keine Zeit gehabt habe… dass ich sie nicht gesehen habe… dass ich gar nicht dort war… Sollte ich lügen oder die Wahrheit sagen? Was würde sie besser aufnehmen?
Am nächsten Morgen kam sie nicht. Na klar, weil sie sauer auf mich ist! Ich hab ihr einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen. Das Gedankenkarussell drehte sich immer weiter und weiter und schneller und schneller und ich fühlte mich noch viel schlechter als am Tag zuvor. Ich war total abwesend, alles drehte sich um diese Sache. Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren.
In der Nacht schlief ich schlecht. Ich weiß nicht, ob ich nicht sogar von der Situation geträumt gehabt habe.
Als ich dann am nächsten Morgen draußen war, um die Tomaten zu gießen, stand sie plötzlich vorm Tor. Sie war völlig unbekümmert, freundlich und hatte von allem offensichtlich überhaupt nichts mitbekommen. Nachdem sie gegangen war, musste ich mich erst mal setzen, um mir das ganze auf der Zunge zergehen zu lassen.
Ich hatte aus dem Augenwinkel etwas Rotes gesehen. Das war eigentlich alles, was ich mit (abnehmender) Sicherheit sagen konnte. Alles andere hatte ich mir nur ausgedacht, dazu gereimt.
Ich hatte mich also zwei Tage lang schlecht gefühlt, nur weil ich etwas Rotes gesehen hatte!
Hölle ist der Glaube daran dass die Geschichten im Kopf real sind!